An die Maeterlincksche Umwälzung des Theaters, an die, wie er sagt, antidramatische Radikalität seiner Einakter, hat der fränkische Komponist Walter Zimmermann bewusst angeknüpft, als er 1984 sein statisches Drama "Die Blinden" nach der pièce von Maurice Maeterlinck komponierte. Es war jedoch nicht die Nähe zur Oper, die ihn am Werk Maeterlincks interessierte - im Gegenteil: "Mir schien die Statik der Handlung, welche das Warten auf das Unausweichliche des Todes thematisiert, symptomatisch für eine Neuorientierung des Musiktheaters. Es geht im Grunde nur noch, den Tod des Musiktheaters anzuerkennen [...]. So stellte sich mir die Frage, wie mit einer Institution umgehen, deren Mechanismen vor allem in der Reproduktion vergangener Musik (toter Komponisten!) funktionieren, was sich in der Ausbildung der Sänger zu hyperexpressiven Singmaschinen unangenehm bemerkbar macht." In seiner ersten Bühnenkomposition hat Zimmermann nun diese Neuorientierung versucht, indem er einen grundsätzlich anderen Weg einschlug als die herkömmliche "Literaturoper". Sein Ansatz war, den Text nicht ausdruckshaft musikalisch zu bebildern und auszudeuten, sondern den Gehalt des Textes unmittelbar in eine musikalische Architektur zu übersetzen.
Es ist das Zwiegespräch der beiden Rosen aus Edmond Jabès "Buch der Fragen", das Walter Zimmermanns Komposition "Singbarer Rest" zugrunde liegt. Die neun Frauenstimmen werden an ihre Grenzen geführt und durch atemlose, technische Klänge erweitert. Diese Klänge weisen auf das von ihnen Überschrittene. Sie ermöglichen den singbaren Rest und werden selbst zu obligaten Klängen.
Manfred W. Wenninger
1949 | in Schwabach (Mittelfranken) geboren. Er lernt Klavier, Violine und Oboe, beginnt mit 12 Jahren zu komponieren und besucht das humanistische Gymnasium in Fürth |
1968-70 | Pianist im ars-nova-ensemble Nürnberg; studiert Komposition bei Werner Heider |
1970-73 | Studien im Institut für Sonologie in Utrecht (mit O. E. Laske) und im ethnologischen Zentrum Jaap-Kunst in Amsterdam |
1974 | USA-Aufenthalt zunächst in Hamilton, N.Y., um Computer-Musik zu studieren |
1975 | Rundreise durch die Vereinigten Staaten, während der er mit 23 amerikanischen Musikern Gespräche führt |
1976 | Aufnahmen von Volksmusik in der Oase Siwa, in einem Ghetto in Pittsburgh, in einem Indianerreservat in Montana und im Hinterland von Fürth |
1977 | Eröffnung des Beginner Studios in einer ehemaligen Fabriketage in Köln |
Veranstaltung von regelmäßigen Konzerten mit Neuer Musik von diesem Jahr bis 1984 | |
1980 | Förderpreis der Stadt Köln |
1981 | Erster Preis "Ensemblia", Mönchengladbach |
1982-84 | Dozent bei den Darmstädter Ferienkursen |
seit 1982 | Kompositionslehrer am Conservatoire in Liège, Belgien |
1986 | Berlin |
1987 | Villa Massimo, Rom |
1988 | Lehrauftrag im Koninlijk Konservatorium Den Haag |
Lebt in Frankfurt | |
1989 | Schneider-Schott Preis |
seit 1990 | Kompositionslehrer in Karlsruhe |
1990 | Prix Italia für "Die Blinden" |
1992-93 | Gastprofessur Folkwanghochschule Essen |
1992 | Organisation Festival "Anarchic Harmony", zum 80. Geburtstag von John Cage |
seit 1993 | Professur für Komposition Hochschule der Künste Berlin |
(Stand: 1996)
1 Singbarer Rest
für neun hohe Frauenstimmen und Sampler (1993)
Text: Edmond Jabès aus dem Buch der Fragen
Neue Vocalsolisten Stuttgart
Leitung: Manfred Schreier
2 Die Blinden
Statisches Drama nach Maurice Maeterlinck
für zwölf Sänger und neun Instrumente (1984)
Junges Philharmonisches Orchester Stuttgart
Neue Vocalsolisten Stuttgart
Leitung: Manfred Schreier